VI. Fürsorgerische Freiheitsentziehung
35 Probeweise Entlassung mit Auflagen. Unzulässigkeit einer probeweisen Entlassung mit Weisungen, wenn sich bei einer Einweisung zur Untersuchung herausstellt, dass die Vorausset- zungen für eine definitive fürsorgerische Freiheitsentziehung nie erfüllt waren.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 9. November 2010 in
Sachen M.H. gegen den Entscheid des Bezirksamtes X. (WBE.2010.305).
Kurzbegründung
1.
1.1
Mit Verfügung vom 10. September 2010 wies das Bezirksamt
X. den Beschwerdeführer zur Untersuchung gemäss § 67d EG ZGB
in die Klinik Y. ein.
1.2
Eine Anstaltseinweisung zur Untersuchung ist dann angezeigt
und zulässig, wenn die Einweisungsbehörde ernsthaften Anlass hat,
eine definitive fürsorgerische Freiheitsentziehung (zur Behandlung)
für angezeigt zu halten, über einzelne Einweisungsvoraussetzungen
aber noch Ungewissheit besteht, die sie weder durch eigene Abklä-
rung noch durch Anordnung einer ambulanten Untersuchung behe-
ben kann. Der Abklärungsauftrag ist genau zu benennen und die
Einweisung zur Untersuchung ist zu befristen. Die stationäre Unter-
suchung ist so schnell wie möglich abzuschliessen (§ 67d Abs. 3
EG ZGB). Die Klinik hat die gestellten Fragen (z.B. nach dem
Vorliegen einer Geisteskrankheit) der Einweisungsbehörde zu beant-
worten, worauf diese entscheiden muss, ob eine definitive Ein-
weisung zur Behandlung (in diesem Fall ist eine neue Verfügung zu
erlassen) eine Entlassung erfolgt (§ 67d Abs. 1 und 2 EG ZGB;
zu den Voraussetzungen einer Einweisung zur Untersuchung vgl.
AGVE 2003, S. 138 m.H. [Erw. 1b]).
1.3
An der rechtlichen Qualifikation "Einweisung zur Unter-
suchung" ändert auch nichts, dass das Bezirksamt X. in Ziffer 1 der
erwähnten Verfügung vom 10. September 2010 schrieb, der Be-
schwerdeführer werde ''zur Behandlung und Abklärung" in die Kli-
nik Y. eingewiesen. Aus der Begründung und insbesondere aus dem
Fragenkatalog gemäss Ziffer 2 der Verfügung ergibt sich eindeutig,
dass unklar war, ob die Voraussetzungen für eine fürsorgerische
Freiheitsentziehung erfüllt waren, insbesondere, ob beim Beschwer-
deführer überhaupt eine behandlungsbedürftige Geisteskrankheit
oder Geistesschwäche vorlag.
1.4
Mit Bericht vom 21. September 2010 beantwortete die Klinik Y.
dem Bezirksamt X. die gestellten Fragen. Daraus ergab sich eindeu-
tig, dass kein Grund für eine medikamentöse Behandlung und schon
gar nicht für eine stationäre psychiatrische Behandlung des Be-
schwerdeführers bestand, weshalb dieser am 24. September 2010 aus
der Klinik entlassen wurde. Empfohlen wurde durch die Klinik eine
ambulante Gesprächstherapie.
2.
2.1
Am 28. September 2010 verfügte das Bezirksamt X., der Be-
schwerdeführer werde per fürsorgerischer Freiheitsentziehung ver-
pflichtet, für die Dauer von drei Monaten stützende Gespräche beim
Externen Psychiatrischen Dienst (EPD) Z. zu besuchen.
2.2
Mittels fürsorgerischer Freiheitsentziehung wird eine psychisch
kranke Person zur Behandlung in eine geeignete Anstalt eingewie-
sen. Es geht nicht an, jemanden per "fürsorgerischer Freiheitsentzie-
hung" zu einer ambulanten Therapie zu verpflichten. Rechtlich kann
die Verfügung des Bezirksamts X. höchstens als eine Entlassung mit
Weisungen interpretiert werden. Gemäss § 67h EG ZGB kann die
probeweise Entlassung, nötigenfalls mit Weisungen, erfolgen, sofern
die Voraussetzunge für eine Entlassung nicht in allen Teilen erfüllt
sind.
2.3.
Im vorliegenden Fall erfolgte lediglich eine Klinikeinweisung
zur Klärung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine fürsorgeri-
sche Freiheitsentziehung überhaupt erfüllt seien. In der Klinik zeigte
sich, dass dies gerade nicht der Fall war, worauf der Beschwerdefüh-
rer entlassen wurde. Bei dieser Ausgangslage sind die Voraussetzun-
gen für eine Entlassung mit Weisungen nicht erfüllt, da bereits die
Voraussetzungen für eine definitive fürsorgerische Freiheitsentzie-
hung nie erfüllt waren, und daher auch nicht davon gesprochen wer-
den kann, die Voraussetzungen für eine Entlassung seien am 24. bzw.
am 28. September 2010 nicht in allen Teilen erfüllt gewesen.
2.4
Die angefochtene Verfügung ist daher aufzuheben und es bleibt
bei der Empfehlung an den Beschwerdeführer, die Gesprächstherapie
freiwillig durchzuführen.